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Der Wandteppich von Bayeux – Sprache und Schrift ben und weitergegeben Jahr für Jahr. Die Bestimmungen sind alles
als Instrumente der Durchsetzung von Macht und andere als einheitlich verfasst. Ganz im Gegenteil beziehen sie sich
auf eine kaum vergleichbare Gemengelage von Rechten und Pflich-
Herrschaftsansprüchen ten. Wer sollte das alles verstehen? Hat das jeder verstanden? Wurde
Das Jahr 1066 markiert einen Wendepunkt in der englischen Ge- das Recht so angewandt, wie es geschrieben stand? Wir schauen
schichte. Mit der Eroberung Englands durch den normannischen auf diese Fragen im Spessart zwischen Schlüchtern und Miltenberg.
Eroberer Wilhelm von der Normandie geht die Regentschaft der Manches wird uns dabei überraschen ...
angelsächsischen Könige von England auf die normannischen Könige
über. Am Weihnachtstag des Jahres 1066 wird Wilhelm der Eroberer Dr. Gerrit Himmelsbach
in der Westminster Abbey zum König von England gekrönt. Bereits bei 05.05. 1-mal Do. 19:00-21:15 3 UE 1011003 12,00 €
der Krönungszeremonie wird deutlich, dass es Wilhelm darum geht, Gelnhausen, Bildungshaus Main-Kinzig, Frankfurter Str. 30
von der gesamten Bevölkerung als legitimer Herrscher anerkannt
zu werden, weshalb er sich sowohl von den Angelsachsen als auch
von den Normannen in ihrer jeweiligen Sprache akklamieren lässt.
Wilhelms Halbbruder Odo, Bischof von Bayeux, einer kleinen franzö-
sischen Gemeinde in der Normandie, gibt um 1070 einen Wandteppich Der Weg aus dem Dunkel:
in Auftrag, auf dem die Vorgeschichte und die Eroberung Englands Sprache und Schrift im frühen Griechenland
durch Wilhelm in der Schlacht von Hastings ikonografisch und mit Mit dem Untergang der minoisch-mykenischen Welt verschwand auch
Beitexten versehen dargestellt wird. In dem Seminar wollen wir uns die Schrift dieser Hochkulturen (Linear A/Linear B). Dennoch fand
den Wandteppich von Bayeux etwas genauer ansehen und dabei aus das archaische Griechenland über den Kontakt zu den Phöniziern
dem, was dort dargestellt und dem, was dort nicht dargestellt ist, zu einem neuen Alphabet, das die Griechen weiterentwickelten. Was
erschließen, inwiefern dieses außergewöhnliche Dokument der Legiti- folgte, war eine Erfolgsgeschichte, die schließlich das wohl prä-
mation von Wilhelms Herrschaft dient.
gendste Epos der Alten Welt hervorbrachte: die Ilias und die Odys-
see. Der Vortrag zeigt das angeblich „dunkle Zeitalter“ und den Weg
Gabriela Radloff daraus unter besonderer Berücksichtigung der Schrift und Sprache.
31.03. 1-mal Do. 19:00-21:15 3 UE 1011001 12,00 € Diese wiederum standen Pate bei der Geburt einer antiken Hochkul-
Gelnhausen, Bildungshaus Main-Kinzig, Frankfurter Str. 30 tur, die uns so wichtige Dinge wie Sport, Theater, Philosophie und
Politik brachte.
Mario Becker
Homer und seine Zeit – 12.05. 1-mal Do. 19:00-21:15 3 UE 1011004 12,00 €
Die ersten literarischen Werke Europas Gelnhausen, Bildungshaus Main-Kinzig, Frankfurter Str. 30
Homer gilt als der Dichter der beiden frühesten Epen Europas, der
Ilias, die den Kampf um Troja erzählt, und der Odyssee, die von den
Irrfahrten des Odysseus berichtet. Es sind umfangreiche literarische
Werke von Weltrang. Sie stehen am Übergang von rein mündlich Sprache und Sprachgeschichte
überlieferter zu schriftlich abgefasster Dichtung und markieren damit Kannten die Menschen der Steinzeit den Konjunktiv? Leider können
einen entscheidenden Schritt in der europäischen Kultur- und Gei- wir die Frage nicht beantworten. Doch sicher ist: Bereits der Nean-
stesgeschichte. Ihr Ursprung und der Kern der Handlung reichen bis dertaler hatte die biologischen Voraussetzungen, um jede bekannte
in die mykenische Zeit zurück. Nach etwa fünfhundert Jahren münd- Sprache sprechen zu können. Und jede Sprache der Welt muss in der
licher Überlieferung erfolgte schließlich die schriftliche Abfassung. Lage sein, Sachverhalte adäquat und unmissverständlich darstellen
Eine entscheidende Rolle für die grandiose Erfolgsgeschichte dieser zu können. Insofern gleichen sich alle Sprachen der Welt. Aber warum
Epen spielte die Entwicklung der Schrift, die es mit der Hinzufügung gibt es dann eine kaum überschaubare Vielzahl von Sprachen auf
von Vokalen ermöglichte, so zu schreiben, wie man sprach. Beide der Welt? Wir wollen zunächst einmal klären, wie und warum sich
Werke ermöglichen es uns, einen Blick in die griechische Frühzeit zu Sprachen im Laufe der Zeit verändern können. Dies gilt für die laut-
werfen. Die Intention dieser Geschichten ist es freilich, in erster Linie liche Veränderung von Worten und Veränderungen der Grammatik.
zu unterhalten. Es waren schließlich Sänger, die diese Dichtung in Auch wollen wir einen Blick auf Lehnwörter und Bedeutungswandel
Versen in den Adelskreisen vortrugen. Gleichwohl erfahren wir vieles von Worten werfen. Angesichts der Vielzahl von Sprachen werden
über den Glauben an die schicksalsbestimmenden Götter und über wir uns hauptsächlich mit Beispielen aus Europa beschäftigen, die
religiöse Praktiken, die auch für die Folgezeit Grundlagen der antiken zur indoeuropäischen Sprache gehören. Gerade die indoeuropä-
Weltanschauung blieben. Viele Textstellen geben darüber hinaus ischen Sprachen sind zur Erforschung der Sprachgeschichte sehr
Einblicke in die alltägliche Realität wie beispielsweise in das Denken aufschlussreich, da deren früheste Nachweise 4000 Jahre alt sind.
und Fühlen, in soziale Strukturen und Verhaltensweisen, aber auch Zugleich geben uns diese Sprachzeugnisse viele Kenntnisse über
in Bereiche wie Handwerk, Landwirtschaft, Seefahrt, Umweltbedin- Lebensumstände der Indoeuropäer vor vielen Jahrtausenden. Ebenso
gungen und Krieg. liefern sie uns Informationen über Glaubens- und Moralvorstellungen
ihrer Sprecher. So sind wir in der Lage, den Götterhimmel der Indo-
Dr. Hans-Otto Schmitt europäer in Umrissen zu rekonstruieren, und über Verwandtschafts-
28.04. 1-mal Do. 19:00-21:15 3 UE 1011002 12,00 € bezeichnungen gelingt es, einen Einblick in die sozialen Verhältnisse
Gelnhausen, Bildungshaus Main-Kinzig, Frankfurter Str. 30 ihrer Sprecher zu bekommen.
Claus Bergmann
19.05. 1-mal Do. 19:00-21:15 3 UE 1011005 12,00 €
Von Mensch zu Mensch – Spessarter Dorfordnungen Gelnhausen, Bildungshaus Main-Kinzig, Frankfurter Str. 30
Es braucht Regeln, wenn man miteinander auskommen will. Damit
Spezial jeder Bescheid weiß, wurde auf dem Dorf mindestens einmal im Jahr Spezial
Recht gesprochen. Dabei wurde öffentlich kundgetan, was vor Ort galt
und wie man sich korrekt zu verhalten hatte. Seit dem 16. Jahrhun- Menschliche Kommunikation als Konfliktursache und
dert wurde dieses Recht aufgeschrieben, meistens von der Dorfherr- als Konfliktregelungsinstrument
schaft, aber manchmal auch auf Anregung der Ortsbewohner – Ein Kind, das noch niemals gesprochen hatte, obwohl es im sprachfä-
„Nachbarn“, wie man sie damals nannte. Diese Dorfordnungen sind higen Alter war, verblüffte seine Mutter eines Tages am Mittagstisch
in überraschender Vielzahl auf uns gekommen. Im Spessart gibt es damit, dass es sagte: „Die Suppe schmeckt mir nicht!“ Die Mutter da-
etwa 50 davon. Sie erzählen konkret vom Recht vor Ort, aufgeschrie-